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Internet, Social Media & Co. – alles online und sonst nichts? Von Vereinsamung bis zur Abhängigkeit: Die neuen Herausforderungen für die berufliche Rehabilitation

Das Smartphone immer griffbereit. Kostenloses WLAN fast überall. Arbeiten ohne Internetzugang - kaum mehr denkbar. Das ist mittlerweile Realität und erleichtert auch vieles im Alltag. Doch wie wirkt sich das auf die berufliche Rehabilitation allgemein und deren Teilnehmer aus?

Gastvortrag von Prof. Dr. Reinhart Schüppel, Chefarzt der Johannesbad Fachklinik Furth im Wald, bei der Rehatagung 2019 am BFW Eckert
Gastvortrag von Prof. Dr. Reinhart Schüppel, Chefarzt der Johannesbad Fachklinik Furth im Wald, bei der Rehatagung 2019 am BFW Eckert

In der digitalen Welt lauern viele Verlockungen: Anerkennung via Social Media, wenn Lob in der Familie ausbleibt. Schnäppchen im Online-Shop, wenn es zu umständlich erscheint, aus dem Haus zu gehen. Highscore beim Online-Gaming, wenn Erfolge im Berufsleben fehlen. Die Realitätsflucht ist einfach und der Grat zur Onlinesucht schmal. Der Internetkonsum der Betroffenen nimmt kontinuierlich zu, bis er irgendwann den größten Teil des Alltags bestimmt und andere Tätigkeiten vernachlässigt werden. Isolation, Depressionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen können langfristige Folgen sein.

Berufliche Rehabilitation im Spagat zwischen notwendiger Digitalisierung und Suchtpotenzial

Was bedeutet diese soziale Entwicklung im Kontext der beruflichen Rehabilitation? Auch das Berufsförderungswerk Eckert steht vor neuen Herausforderungen: Einerseits kann der Einsatz digitaler Medien im Ausbildungskontext kaum vermieden werden, wenn qualitativ hochwertige, an den Arbeitsmarkt angepasste Kompetenzen vermittelt werden sollen. Andererseits befinden sich gerade unter den Rehabilitanden viele Personen mit einer erhöhten psychischen Vulnerabilität und einer Anfälligkeit für dysfunktionale Bewältigungsstrategien. Wie kann man als Berufsförderungswerk den Spagat zwischen notwendiger Digitalisierung und der Gefahr der Abhängigkeit meistern? 

Genau diese Herausforderung war Gegenstand der Reha-Fachtagung 2019. Etwa 60 Experten aus den Reihen der Leistungsträger sowie eine Vielzahl von Mitarbeitern des Berufsförderungswerks Eckert kamen am 10. Oktober 2019 im Foyer der Hotelfachschule zusammen, um sich unter dem Titel „Internet, Social Media & Co. – alles online und sonst nichts?“ auszutauschen und Zukunftsstrategien zu entwickeln.

„Die Entwicklung hin zur Digitalisierung aller Lebensbereiche und somit auch der Arbeitswelt nimmt uns als rehabilitative und berufsbildende Einrichtung in die Pflicht“, eröffnete Friedrich Reiner, Geschäftsführer des Berufsförderungswerks, die Tagung. Nachdem es in den Reha-Fachtagungen der letzten Jahre um die Digitalisierung der Arbeitswelt und der Lernwelten ging, rückten in diesem Jahr die Risiken, die damit einhergehen, in den Fokus. Dabei wurden insbesondere die psychologischen und physiologischen Auswirkungen der fortschreitenden Digitalisierung und immer neuer Online-Angebote vor dem Hintergrund einer zunehmenden Suchtproblematik kritisch beleuchtet.

„Suchmaschinen und Mails statt Lexika und Briefe – wo und wie uns die ‚modernen Zeiten‘ medizinisch-psychologisch nutzen und schaden" titelte der anschließende Gastvortrag von Prof. Dr. Reinhart Schüppel, Chefarzt der Johannesbad Fachklinik Furth im Wald, eine der größten Einrichtungen für Suchtpatienten in Bayern. Herr Prof. Schüppel betont zu Beginn den Nutzen der digitalen Entwicklung für die berufliche Rehabilitation, wie z.B. den Einsatz virtueller Realität in der psychologischen Betreuung von Rehabilitanden. Danach schwenkt Schüppel auf das Suchtpotential der digitalen Welt ein, die nach seinen Worten vom Konzept her darauf angelegt ist.

„FOMO“, so Schüppel, „`Fear of missing out` ist die treibende Kraft hinter der digitalen Sucht. Es ist die permanente Angst, etwas Wichtiges zu verpassen.“

Das Publikum beteiligte sich begeistert am Vortrag. „Wie lange schauen Sie nicht mehr auf Ihr Handy, wenn Sie es eigentlich weglegen wollten?“ – Mit solchen und ähnlichen Fragen konfrontierte der Chefarzt aus Furth im Wald die Tagungsgäste, und regte zum Nachdenken über den eigenen Konsum der digitalen Medien an.

Im Fazit plädierte Schüppel für einen hohen Zeitanteil am analogen Leben, für das man wegen der Qualität und Vielfalt der digitalen Angebote, zunehmend Werbung machen müsse.

Nach der Mittagspause folgte die von Friedrich Geiger, Leiter der BFW-Fachdienste, moderierte Podiumsdiskussion zum Tagungsthema. Hierbei ging es vor allem um die Bedeutung der Thematik „Online-Sucht“ für die besondere Situation am BFW Eckert. Es wurden Fragen gestellt wie: „Rehabilitanden mit Online-Sucht – gibt es die überhaupt am BFW Eckert?“ „Macht eine Umschulung für einen onlinesüchtigen Rehabilitanden überhaupt Sinn?“ Und wie schaut es aus mit der Bereitschaft von Arbeitgebern, Mitarbeiter mit einer psychischen Erkrankung einzustellen? „Gibt es Mitarbeiter im Hause Eckert mit Online-Sucht?“ Die Diskussion wurde mit einem hohen Maß an Sachkenntnis geführt, aber auch mit einem hohen Maß an Offenheit, wenn es beispielsweise um das eigene „User-Verhalten“ ging.

Im Anschluss erwartete die Gäste der interaktive Teil der Reha-Fachtagung 2019:
Mitarbeiter verschiedener Abteilungen sowie Rehabilitanden am Berufsförderungswerk hatten insgesamt sieben verschiedene Workshops zum Thema vorbereitet. Die Themenauswahl spannte den Bogen über die richtige Einschätzung einer Online-Sucht gleich zu Beginn einer rehabilitativen Maßnahme im Reha-Assessment über die ärztliche und psychologische Betreuung bis hin zu Prophylaxe im Ausbildungsgeschehen. Es wurden Einblicke von Betroffenen gezeigt sowie der Umgang von Profis aus dem Bereich der Mediengestaltung mit ständiger berufsbedingter Internetnutzung. Auch ein Perspektivenwechsel wurde ermöglicht: Wie funktionieren Computerspiele überhaupt? Und wieso kann man davon süchtig werden?

Die Erkenntnisse und Erfahrungen aus den Workshops wurden anschließend im Plenum zusammengefasst und reflektiert. Die Reha-Fachtagung sensibilisierte alle Tagungsteilnehmer für die Problematik ständiger digitaler Belastung und brachte viele neue Lösungsansätze hervor. 

„Eine informative Tagung geht zu Ende. Das Thema betrifft uns alle und lässt Raum zur Selbstreflektion. Wir hoffen, Sie konnten neue Einblicke und Erkenntnisse gewinnen und wir sehen uns auf der Reha-Fachtagung 2020 am BFW Eckert in Regenstauf wieder“, beendete Friedrich Reiner die Veranstaltung.


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